Workcamp Sobibor 2006

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Workcamp Sobibor April 2006

Ein Reisebericht

16.04.2006 Es ist Sonntagnachmittag. Seit heute Morgen, unserer Ankunft in Berlin-Lichtenberg, begleiten mich Gedanken über das was ich in den vergangenen Tagen sah, hörte und fühlte. Wie kann ich diese Gefühle und Eindrücke kanalisieren, sie benennen? Damit meine Mitmenschen so gut wie möglich nachvollziehen können, was ich erlebte?
In den folgenden Bericht will ich versuchen eine Tür dahin zu öffnen. An viele Details kann ich mich kaum noch erinnern, dafür aber an einige wenige Situationen sehr deutlich:
Als ich vor einer Woche in den Nachtzug mir dem Ziel Lublin stieg, ahnte ich nicht, was mich dort erwarten würde. Einige Wochen zuvor wusste ich ja noch nicht einmal, dass ein Ort Namens „Sobibór“ auf der Landkarte Polens und in unserer Geschichte existiert.
Nachdem wir eine Nacht im Zug verbrachten, dessen Abteile scheinbar hermetisch abgeriegelt schienen, da sowohl die einzelnen Waggons untereinander als auch die Fenster nicht aufzuschließen gingen, wurden wir mit wunderschönstem Frühlingswetter in Lublin begrüßt. Ein Reisebus, der uns für die gesamte kommende Woche zur Verfügung stehen sollte, brachte uns vom Bahnhof zum Kloster. Dort angekommen mussten wir feststellen, dass uns die Nonnen noch nicht erwarteten. Da die Zimmer noch nicht bezugsfertig waren, stellten wir zunächst einmal unser Gepäck in einem Raum unter und trafen uns zu einer ersten Vorstellungsrunde zusammen, wo wir unter anderem Robert kennen lernten, der mit seinem Wissen über die jüdische Geschichte vor allem vor Ort und in der Umgebung eine große Bereicherung darstellte. Außerdem stellte sich in knappen Worten Kurt Gutmann vor:
Kurt, heute 79 jährig, konnte während des Holocaust in einem Jungenheim in Schottland untergebracht werden. Die Spuren seiner Mutter und seines Bruders, die keine Chance zum Fliehen hatten, enden in Sobibór. Kurt lebt heute in Berlin. Seine Lebensgeschichte findet Ausdruck in jedem Blick seiner Augen, in jeder Bewegung seines Körpers, im Klang seiner Stimme. Dasselbe gilt für Hans-Joachim, sein Sohn, der ihn auf dieser Fahrt begleitete.
Ich danke Kurt, dass er uns eine Woche lang unter sichtlichen Anstrengungen begleitete und keine meiner teilweise sehr persönlichen Fragen ablehnte.
Es folgte ein Stadtrundgang, den Robert mit einem Vortrag zur jüdischen Geschichte in Lublin begleitete. Außerdem lernten wir die polnischen Studenten Camillo und Ana kennen, die uns seitdem regelmäßig Gesellschaft leisteten. Leider ist bei diesem Ausflug nicht viel in meinen Erinnerungen hängen geblieben. Meine Konzentrationsfähigkeit litt erheblich unter den Ermüdungserscheinungen der Zugfahrt.
Bis zum 2. Weltkrieg lebten in Lublin rund 40 000 Juden. Wie vielerorts existierte eigentlich kein Kontakt zwischen den damals 80 000 polnischen Einwohnern und den vorwiegend jüdisch-orthodoxen Menschen. In den 30er Jahren prägte sich zusehends ein starker Antisemitismus unter den Polen aus. Schon vor der Einnahme Lublins zwei Wochen nach Kriegsbeginn, litten die Juden unter erheblichen Repressionen. Im März 1942 erfolgte die erste Deportation aus Lublin in die Vernichtungslager Sobibór, Treblinka und Belzec. Allein in Sobibór wurden in den folgenden anderthalb Jahren 250000 Juden kaltblütig ermordet. Das Lager wurde nach einem Aufstand am 14. Oktober 1943 aufgelöst. Von den ehemals 40 000 Juden, die in Lublin lebten, überstanden 400 von ihnen den Krieg. Außer einigen Hinweisschildern und den Gemäuern der Häuser weist kaum noch etwas auf die damalige Existenz einer jüdischen Kultur in Lublin hin. Bevor wir in das Kloster zurückkehrten, wo wir unsere Zimmer bezogen, erkundigten wir jeder für sich noch einmal die Stadt. Viele blieben auf dem Platz vor der Häuserzeile sitzen, entspannten sich in der Sonne mit einem Eis oder einer für Polen typischen Waffel in der Hand.
Nach dem Abendessen, was wie jeden Tag ein traditionelle Suppe beinhaltete, setzten wir uns noch einmal zusammen, um über die Eindrücke des Tages zu sprechen und vor allem Jules Schelvis zu begrüßen:
Jules Schelvis ist 84 Jahre alt. Mit seiner Deportation von den Niederladen über Westerbork verbrachte er kurze Zeit in Sobibór. Er sah seine Frau und viele Familienangehörige und Bekannte nach der Separation nie wieder. Sie wurden sofort nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager vergast.
Mit den Geschichten von Kurt und Schelvis, erhielten für mich die sonst so unglaublich abstrakten Zahlen an Opfern ein Gesicht. Sie gaben uns die Möglichkeit, einen Teil von sich und damit unzähliger anderer kennen zu lernen.
Am zweiten Tag fuhren wir das erste Mal in das etwa 80 km entfernte Sobibór. Pro Strecke saßen wir anderthalb Stunden im Bus – für mich wichtige Zeiträume des „Nichtstuns“ die ich mit reflektieren, lesen, interessanten Gesprächen und ausruhen füllen konnte.
Als wir mit dem Bus auf dem Parkplatz der Gedenkstätte Sobibór hielten, musste ich feststellen, dass meine Vorstellungen nicht im Ansatz mit dem Bild zusammen passten, welches mir dort geboten wurde. Nachdem das Vernichtungslager aufgelöst wurde, es ist das einzige, dass sich mit einem Aufstand befreien konnte, machten es die Nazis dem Erdboden gleich und bepflanzten das entsprechende Gebiet mit einem schnellwachsenden Kiefern, um keine sichtbaren Zeugnisse ihres Verbrechens zu hinterlassen. Außer einem kleinen Museumshäuschen, einer Gedenkwand, an der eine sehr knappe Information zur Geschichte des Orts in sechs verschiedenen Sprachen angebracht war, weist zunächst erst einmal nichts auf die Besonderheit des Ortes. Dort wo ehemals Mörder im Namen der Nazis und ihrer selbst wohnten, leben heute wieder Familien Sie unterhalten sich hauptsächlich aus der Holzwirtschaft, die Schienen für vergangene Deportationen von hunderttausenden von Opfern zu ihrem Vorteil nutzend. Es scheint wie ein ganz normales Dorf, ein paar Kilometer abseits der Landstraße.
Unsere polnischen Kollegen waren noch nicht eingetroffen. So begingen wir erst einmal in Begleitung von Jules Schelvis die scheinbar unsichtbaren Wege des ehemaligen Vernichtungslagers, angefangen bei der Rampe. Die später mit Bäumen bepflanzte Gedenkallee, der ehemalige Weg zur Gaskammer, führt zu einem Ascheberg. Dort wo Bäume bereits gepflanzt, sind einige Gedenksteine in Erinnerung an die Opfer in die Erde einbetoniert worden. Die Idee hat mir gefallen. Allerdings wirkte der an allen Seiten herausquellende Baustoff eher unwürdig. Die Erklärung für diese Form von Festigung wurde uns später erklärt. Während der Weihnachtszeit wäre es vorgekommen, dass Leute aus der Umgebung sowohl Bäume entwendeten, als auch Steine aus ihrer Fassung huben. Das Leben der meisten Menschen, die nach Sobibor deportiert wurden, endete an dem Ort, wo heute der Ascheberg steht. Bevor sie dieses letzte Stück Weg zurücklegten, wurden sie in zwei verschiedene Gruppen separiert. Hier entschied sich, wer direkt vergast wurde, und wer nicht. Hier trennten sich die Wege unzähliger Opfer, auch der von Jules und seiner Frau Rahel und ihrer Familie. Jules konnte diesem Moment kaum folgen und bemerkte erst kurz nach der Separation, dass seine Frau ein anderer Weg aufgezwungen wurde.
Das Asche-Gedenk-Monument ist eine Idee mit der Zusammenarbeit der Stanislav-Hantz-Stiftung. Es gibt viele verschiedene Meinungen über dieses Projekt. Ein Streitpunkt, der auch am Abend noch einmal in einer Diskussionsrunde aufgegriffen wurde, war der Aspekt, dass nicht eindeutig klar ist, ob sich das Denkmal tatsächlich an dem Ort der ehemaligen Gaskammern befindet. Ein anderer Aspekt war, das es nicht eindeutig scheint, ob das Material nun wirklich aus Asche oder Erde besteht. Etwas abseits von diesem Monument befindet sich ein aus sozialistischen Zeiten stammendes Denkmal. Es wirkt fast mickrig neben dem Ascheberg, allerdings finde ich, dass der Ort trotzdem eine Art Ruhe ausstrahlte, die mir „gefiel“. Als ich mich auf eine der daneben stehenden Banken setzte, stellte ich mit Erschrecken fest, dass um mich herum lehre Flaschen lagen. Es war das erste Mal während dieser Fahrt und überhaupt, wenn ich an den Holocaust dachte, dass mich der Umgang einiger Polen mit diesem Verbrechen fassungslos stimmte.
Nach diesen sehr tief gehenden Eindrücken, die ich in einigen Augenblicken versuchte mit Tränen zu unterdrücken, gingen wir zurück zum Museumshäuschen. Dort trafen wir erstmals auf unsere polnischen Kollege, Marek Bem und die beiden Christopher. Auch wenn sie zu Beginn eher einen skeptischen Eindruck auf mich vermitteln (vielleicht wussten sie selbst nicht, was sie erwarten würde), schloss ich ihre Art und ihr Engagement sehr schnell ins Herz. Mit den einfachsten Gegebenheiten, die dort vor Ort existierten bekamen wir tagtäglich unseren Tee zum Stärken und wenn nötig mit den vorhandenen Gaskochern einen halbwegs warmen Raum, um die Nasskälte aus unseren Gliedern zu treiben.
Im Anschluss an einer kleinen Mittagspause, begannen wir die anfallenden Arbeiten aufzuteilen. Dazu gehörten neben dem Pflanzen und Gießen der Bäume, Wassergräben anlegen, Wege harken, sowie das Aufsammeln von größerem Geäst von den Waldböden. Der größte Teil der Bäume befand sich auf einem der anliegenden Höfe, so dass diese auf einem Karren zu Allee gefahren werden mussten. Obwohl uns an diesem Tag nicht mehr viel Zeit bis zur Rückfahrt, konnten wir unter angenehmen Frühlingstemperaturen 80 Bäume pflanzen. Es ist interessant, wie sich erst einmal eine Rhythmus und Arbeitsweisen finden muss, bis sich niemand mehr im Weg steht, sich in seiner Aufgabe wieder findet und dabei seine ganz eigene Art an Trauerverarbeitung lebt. Einige, so schien es, konnten gar nicht anders, als in einer Gruppe mit anderen Menschen zu arbeiten. Für andere ließ diese Form von Tätigkeit viel zu wenig Raum zum Reflektieren und Trauern.
Am Abend saßen wir wieder zusammen, dabei wurde unter anderem genau diese Frage besprochen, in welcher Art wir würdevoll diese Arbeit verrichten können. Ich glaube, dass dies jeder für sich selbst herausfinden muss, da wie gesagt jeder einzelne Mensch mit seinen Erfahrungen und Charaktereigenschaften sein Umfeld verschiedenen wahrnimmt und verarbeitet.
Zum Abschluss des Tages schauten wir uns einen Film („Sobibor“ ?) über den Aufstand in Sobibor an. Der Spielfilm wurde mit Hilfe des Zeitzeugen Thomas Blatt produziert, der als einer der knapp 400 Überlebenden den Aufstand in einer kleinen Gruppe mit organisierte. Ich jedenfalls finde den Film sehr sehenswert, da er viele Informationen in einer zusammenhängenden Geschichte beinhaltet.
Am Dienstagmorgen fuhren wir wieder mit dem Bus nach Sobibór. Bevor wir uns auf den Weg begaben verabschiedeten wir Jules, der wieder zurück nach Amsterdam reiste. In einem wesentlichen wachenden Zustand nahm ich auf der Fahrt viel stärker die Umgebung wahr. Viele neue Hausbauten fielen mir auf, die sehr landwirtschaftliche geprägte Landschaft, in denen sich gerade die Störche in ihren Nestern um ihren Nachwuchs kümmerten. Es gibt wenige Dörfer, dafür aber in weiten Abständen kleine Gehöfte, die meist vom Obstbäumen und langgezogenen Äckern umgeben standen. An diesem Tag konnten wir 128 Bäume einpflanzen. Es regnete, wodurch die Erde nassgetränkt sehr schwer in den Händen lag. Hin und wieder hielt ich sie in ihrer grauen Farbe zwischen meinen Fingern und verlor mich in den Gedanken mit dem bedrückenden Gefühl die Asche der Toten zu berühren. Es wirkte mehr als abstrakt, als wir begannen Bäume einzupflanzen, die an einem Ort im Wald aufgereiht standen, an denen noch Reste von Weihnachtsschmuck hingen. Um Geld einzusparen, wurden diese in einer Aktion nach den Feiertagen eingesammelt. Bevor wir sie in die Erde huben, mussten wir die Nadeln erst einmal von Glitter und Weihnachtssternen aus Papier befreien.
Mit einigen kleinen Pausen, die mir manchmal etwas zu kurz schienen, weil gute Gespräche begrenzt wurden, arbeiteten wir den gesamten Tag durch.
Am Abend, in unserer Gesprächsrunde, stellte Horst auf Nachfrage seine Idee vor, wie er den Ort um den Ascheberg umgestalten möchte. Ich habe mir diese Idee nur schwer vorstellen können, was daran liegen könnte, dass dieser Ort sehr weitläufig ist und ich ihn in meinen Gedanken nicht zusammenhängend sehen konnte. Im Anschluss fand eine Gesprächsrunde mit den polnischen Studenten statt. Leider fühlte ich mich mit Kopfschmerzen zu müde, um daran teilnehmen zu können.
Aufgrund einer spontanen Einladung seitens Marek Bems in das Jüdische Museum nach Wlodawa, fuhren wir am vierten Tag unsres Aufenthalts dorthin. Die Synagoge wurde um 1750 mit ihren zwei Nebenhäusern erbaut. Während der Nazizeit wurde sie als ein Lager missbraucht und damit nicht zerstört. Vor dem Krieg setzte sich die Bevölkerung noch aus 62% Juden zusammen, von denen heute in Wlodawa kein einziger mehr lebt. Der dünne Christoph erzählte uns von der Geschichte der Synagoge, wobei der sonst sehr zurückhaltende Mensch ein vollkommenen neues Gesicht für mich erhielt. In dem dazugehörenden Museum erklärte er was er wusste mit einem leidenschaftlichen Ausdruck in den Augen, die zeigten, der er sich für dieses Thema wirklich interessiere. Mich überraschte sehr der offen stehende Bücherbestand. Diese Bücher waren teilweise so alt, dass ich Angst hatte, dass Papier würde unter meinen Berührungen brechen. Es ist eigenartig, und für mich etwas sehr ungewöhnliches, dass diese Zeugnisse nicht hinter Glas verschlossen gehalten werden, wo man sie aus drei Meter Entfernung betrachten darf. Marek Bem zeigte uns eine Dokumentation „Masterplan Sobibor“ vom National Geografic Sender, in dem dargestellt wurde, wie und mit welchen technischen Mitteln versucht wird der tatsächliche Weg zu den Gaskammern sowie die Konstruktion des Lagers versucht wird zu ermitteln.
Am Nachmittag in Sobibór pflanzten wir 89 Bäume. Viele der Wege waren geharkt, die Äste vom Waldboden waren aufgesammelt, nun musste in Schubkarren Eimer voll Wasser zu den Bäumen gefahren werden, ein aufwendiger Akt, weil pro Karre nur ein Eimer transportiert werden konnte. Karin lag derweil mit einem heftigen Bandscheiben-Vorfall in Betreuung von Annette im Kloster.
An unserem letzten Tag in Sobibór, dem Donnerstag konnten wir die Allee mit insgesamt 328 Tannen zu Ende bepflanzen. Es wurden noch zwei neue Gedenktafeln einbetoniert und in einer stillen Andacht ein Gedenkstein für Gertrude Schönbaum und Walter Poppert gesetzt. Georg hielt dazu eine sehr menschenwürdige Rede, die uns vermutlichen allen diesen Moment sehr nahe kommen ließ.
Es folgte ein Gruppenfoto und Florian ging noch einmal mit jedem der wollte, das gesamte Geländer in seinen Grenzen ab. Anschließend verabschiedete sich jeder persönlich von diesem Ort. Marek sprach uns rührende dankende Worte aus, die gleichzeitig ein Abschied von ihm und den Christophern, sowie den anderen polnischen Helfern vor Ort bedeuteten.
Als wir mit dem Bus den Ort verließen, spürte ich das ziemlich sichere Gefühl, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein, das ich von Sobibór wegfuhr. Mich hat es teilweise sehr schockiert, wie noch heute mit dem Holocaust umgegangenen wird, wie viel Geschichte einfach auf dem Rücken der Opfer, dazu zähle ich auch die nachfolgenden Generationen, vergessen werden soll, weil, wie es so oft offiziell als Entschuldigung heißt, kein Geld vorhanden ist, um bestimmte Projekte zu fördern. Was ich in Sobibór sah, ist nicht im Ansatz mit dem zu Vergleichen, was ich in der Bildungsstätte Auschwitz erlebte. Da wird in ein zwei Gedenkstätten kräftig investiert, um zumindest das Gesicht zu wahren... dafür geraten aber andere mindestens genauso bedeutsame Konzentrations- und Vernichtungslager in die Namenlosigkeit.
Nach dem Abendbrot wollten wir uns eigentlich einen weiteren Film anschauen, diesmal über Menschen, die Sobibór überlebten. Allerdings war die Qualität des Recorders derart schlecht, dass wir uns entschieden diesen Tag ohne diese Dokumentation zu Ende gehen zu lassen.
Karfreitag. Trotz hochkatholischem Feiertag entschieden sich ein paar der Nonnen letzten Endes doch uns ein Frühstück vorzubereiten. Die ursprüngliche Absprache lautete, dass wir an den letzten beiden Tagen selbst für unsere Mahlzeiten sorgen müssten. Die anfänglich sehr schüchtern wirkenden Frauen, zeigten am Ende eine sehr angenehme Herzlichkeit.
Mit dem Frühstück im Magen brachte uns unser Busfahrer heute zunächst nach Izbica. Diese Kleinstadt diente während des Krieges als ein Durchgangsghetto. Es gab keine wirklichen künstlich aufgerichteten Mauern oder Zäune, sondern eher eine aus der Form der Umgebung existierende Grenze. Ich habe die Zahlen vergessen, die zeigen, wie viele Juden vor der Barbarei der Nazis dort lebten... Ich glaube aber, dass es zwischenzeitlich 23.000 Menschen waren, die dort auf den Weg zu anderen Punkten Ostpolens zwischenstationiert wurden.
Unser Rundgang durch den Ort scheiterte an Wolkenbruchartigen Regenfällen, die uns überraschten, als wir gerade auf der ehemaligen Rampe stehend beginnen wollten, den Ausführungen Roberts zuzuhören. Um vor dem Regen Schutz zu suchen, solange bis der Busfahrer wieder zurückkam, stellten wir uns in einem kleinen Wartehäuschen unter. Robert hielt dann seinen Vortrag im Bus, was wesentlich angenehmer war, als in der Kälte des Regens bis auf die Knochen aufgeweicht zu werden.
Als sich der Himmel wieder etwas aufklarte, gingen wir zu dem Geburtshaus von Thomas Blatt. Es steht trostlos in einer kleinen Seitenstraße in der alte und neue Architektur, wie zwei Kontrastfarben aufeinander prallen. Da standen wir vor der Nummer 13, ein Holzhaus, das nur verlassen und beschädigt wirkt. Nachdem sich ankündigte, dass Thomas Blatt als Überlebender in das Haus zurückkehren würde, suchten Anwohner noch vor seiner Ankunft das Haus nach Wertgegenständen im Gedanken, dass dieser Mensch als Jude wahrscheinlich, dass was er an Vermögen besaß versteckt hielt. Ich hörte dem Redner kaum zu. Mich faszinierte sowohl die Fassade des Gebäudes, als auch die Gesichter der Zuhörer, deren Eindrücke ich versuchte in der Kamera festzuhalten.
Was mich in Izbica noch viel stärker berührte, war unser Besuch auf dem jüdischen Friedhof, auf dem 500 Menschen umgebracht worden sind. Hier findet kein Respekt vor dem Opfern statt. Vermutlich würde dieser Ort unter dem Müll ersticken, wären da nicht die Stanislav-Hantz-Stiftung die zusammen mit einer ortsansässigen Schule versucht den Friedhof wieder aufzuarbeiten. In den vergangenen Jahren stellten sie Gedenktafeln auf, so dass zumindest zu erkennen ist, dass es sich hier um einen besonderen Flecken Erde handelte. Ansonsten halten es einige Anwohner nicht für nötig ihren Dreck in dafür vorgesehene Mülltonnen zu entsorgen, sondern den kürzesten Weg über den Gartenzaun zu wählen. Mit Mülltüten in den Händen sammelten wir einen Teil der Abfälle auf. Binnen weniger Minuten waren diese randvoll gefüllt. Regen setzte ein und mit den blauen Säcken in den Händen liefen wir durchs Dorf zurück zum Bus.
Ich hätte mich übergeben können, als sich zwei alte Frauen, die gerade dabei waren, auf ihren gestriegelten Rasen stehend vorm Christenkreuz ihre Gebete gedankenlos zu beten (würden sie sich nämlich bewusst darüber sein, gingen sie vermutlich anders mit ihren Mitmenschen um) aufregten, weil ich ihren in meinen Händen haltenden Müll in ihre Mülltonne stopfen wollte. Ich war nur wütend über diese Begebenheit und am Ende frustriert weil ich mich gern mit ihnen gestritten hätte – ihre ach so tolle traditionelle Ruhe mit anderen Realitäten füllen, die ganz nah neben ihnen existieren. Der Busfahrer erklärte sich bereit die Müllsäcke zu entsorgen.
Wir fuhren weiter nach Zamosc, dem Geburtsort von Rosa Luxemburg. Auch dieses Haus steht ganz unscheinbar inmitten einer kleinen niedlichen Häuserzeile, deren untere Etage kleine Geschäfte beherbergte. Außer einem Schild aus Bronze (?) mit dem Relief des Gesichts von Rosa und dem Hinweis, dass es ihr Geburtshaus ist weist nichts weiter Besonderes auf den Ort. Kurt, für den dieser Augenblick von großer Bedeutung war, brachte einen Strauß Nelken in seinen Händen mit. In akrobatischsten Ausführungen legte Reinhard die Blumen auf das Taubengitter über die Tür.
Es regnete in Strömen. Daher blieb uns nichts weiter übrig als schnellstmöglich ein Café zu suchen, wo wir ein warmes Plätzchen finden konnten. Auch wenn ich nicht viel vom Bild des Städtchens sehen konnte, wirkte die Stadtkern, im besonderen Lichtspiel von dunklen Wolken und Sonnenstrahlen, die auf einmal hervorbrachen, sehr nett... irgendwie südländisch.
Unseren Abschlussabend verbrachten wir mit den Studenten in einer der vielen Kneipen direkt in dem Kloster. Eine von vielen, doch vermutlich eine der wenigen, in der ein Hauch jüdischer Kultur zu spüren ist. Wir aßen dort unser Abendbrot und saßen bis tief in die Nacht in angenehmen Gesprächsrunden zusammen.
Am Samstagmorgen fuhren wir mit Robert nach Majdanek, das ehemalige Konzentrationslager direkt in Lublin. Das Lager wurde wieder aufgebaut – ein bekannter Name. Robert erklärte uns die einzelnen Räume bzw. Baracken. Spätestens bei den Brennöfen empfand ich nur noch Trauer, Wut und Schmerz. Wie kann man nur??? Es ist unbegreiflich und wird es mir immer bleiben.
Am Nachmittag räumten wir unsere Zimmer und gingen noch einmal in derselben Kneipe vom Vortag Abendessen, bevor uns der Busfahrer zum Bahnhof brachte. Zum Abschied schenkte er uns Frauen jeder eine Rose. Unsere Rückfahrt mussten wir aufgrund von Organisationsschwierigkeiten bei den einzelnen Bahngesellschaften umplanen. Früher als ursprünglich gedacht nahmen wir zunächst einmal einen Inlandszug nach Warschau, wo wir zweieinhalb Stunden Aufenthalt „genossen“. Meine Gedanken fühlten sich zwischen dem, was mich in Berlin erwarten möge und dem, was ich gerade erlebte und erlebe hin und her gerissen. Endlich hielt der Nachtzug nach Berlin Lichtenberg, diesmal moderner als der von der Hinfahrt. Die Fenster gingen zu öffnen, was für mich jedes mal ein unbeschreibliches Gefühl bedeutet: den Kopf aus dem Fenster in den Fahrtwind strecken. Ich trank viel zu schnell und für meine Verhältnisse viel zu viel Wodka... mich erwartete in Berlin ein Ostersonntag mit Familie. Erst auf der Fahrt vom Bahnhof zu einem Hotel, wo wir frühstückten, ließen sich meine Tränen nicht mehr unterdrücken.

 
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